Birgit Lipsky ist Beauftragte für
Gleichstellung, Behinderung und Integration beim Landkreis
Oberhavel.
MAZ: Thomas Schmidt, ein
sehbehinderter Oranienburger, klagt, dass viele Bordsteinkanten
für Rollifahrer abgesenkt wurden, aber er mit seinem Stock dann
nicht merkt, wo die Straße anfängt. Gibt es dafür
Kompromiss-Lösungen? Birgit Lipsky: Damit Rollstuhlnutzer eine
Straße überqueren können, müssen die Borde abgesenkt werden. Am
geeignetsten ist eine Absenkung auf Straßenniveau. Das stellt für
blinde oder stark sehbehinderte Verkehrsteilnehmer eine Gefahr
dar. Der offensichtliche Widerspruch führte zu einer
Kompromisslösung: Borde sollen an Querungsstellen auf drei
Zentimeter über Straßenniveau abgesenkt oder angehoben werden.
Wird weiter abgesenkt, ist mit sogenannten Aufmerksamkeitsfeldern
zu arbeiten. Diese weisen blinde Menschen auf die Gefahrenstelle
hin, es wird neben der Nullabsenkung auch ein Bord angelegt der
mindestens sechs Zentimeter hoch ist.
Ein Thema im Landkreis ist ja seit
Jahren auch die Barrierefreiheit in Wahllokalen. Viele
Gehbehinderte mussten bisher auf die Briefwahl zurückgreifen...
Lipsky: Da gibt es durchaus eine positive Entwicklung. Die Städte
und Gemeinden informierten in der Wahlbenachrichtigung darüber, ob
ein Wahlraum barrierefrei ist und wo Wahlberechtigte weitere
Informationen zu barrierefreien Wahllokalen und anderen
Hilfsmittel erhalten können. Und: 68 Prozent der Wahllokale im
Kreis waren zuletzt barrierefei.
Während öffentliche Gebäude
mittlerweile im Kreis meist ohne Hürden zu erreichen sind, ist das
in vielen Geschäften und Ärztehäusern häufig nicht der Fall...
Lipsky: Eine wichtige Aufgabe nach in Kraft treten der
UN-Behindertenkonvention ist die Beseitigung von baulichen
Barrieren. Bis die vielfältigen baulichen Veränderungen gerade im
Altbaubestand realisiert sind, werden noch Jahre vergehen. Bei
Neubauten im öffentlichen Bereich gilt das Gebot barrierefrei zu
bauen. Geschäfte und insbesondere Ärztehäuser gehören ebenfalls zu
öffentlichen Gebäuden. Schwierig wird es hier nur, sofern es sich
um Bestandsgebäude handelt, wo eine Barrierefreiheit nur
unzulänglich nachgerüstet werden kann. Die Schwierigkeiten liegen
hier oft bei der Zugänglichkeit. Oftmals sind Höhen zu überwinden,
wo der Einbau eines Aufzuges nicht möglich ist. Viele Geschäfte in
der Innenstadt von Oranienburg etwa sind nur über einige Stufen
erreichbar. Hier ist es oft nicht möglich, über eine Rampe den
Zugang zu gewähren. Einige Geschäfte haben das Problem dadurch
gelöst, dass sie eine Klingel angebaut haben.
Jörg Rühle, Hennigsdorfer
Behindertenbeauftragter, hat kürzlich gefordert, dass Unternehmen
Behinderten öfter eine Chance geben sollten. Glauben Sie, dass er
gehört wird?
Lipsky: Es ist gesetzlich geregelt, dass
Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern mindestens fünf Prozent
ihrer Arbeitsplätze mit Menschen mit Behinderung besetzen müssen.
Tun sie das nicht, müssen sie eine Ausgleichsabgabe bezahlen. In
größeren Firmen oder Unternehmen findet man oftmals mehr als fünf
Prozent der Beschäftigten mit einem Grad der Behinderung. In den
kleineren Betrieben sieht die Quote viel schlechter aus. Oft
spielen auch Vorurteile eine Rolle, was die Belastbarkeit im Job
angeht. Hier gibt es noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten und
gute Beispiele, und gute Beispiele, wie es funktionieren kann,
öffentlich zu machen.
Frau Lipsky, wo sehen Sie in den
kommenden Jahren noch Nachholbedarf?
Lipsky: Von Nachholbedarf
würde ich weniger reden. Ich denke es ist ganz wichtig, dass die
Menschen sich so akzeptieren wie sie sind. Es muss ein Umdenken in
den Köpfen stattfinden. Menschen, ob nun mit Behinderung oder
ohne, haben in allen Lebensbereichen die gleichen Rechte. Diese
Selbstverständlichkeit fest zu verankern und auch zu lebe, bedarf
noch viel Anstrengung.
Interview: Marco Paetzel