Blinden-und-Sehbehinderten- |
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Bezirksgruppe Oberhavel |
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Oranienburger Generalanzeiger
Alles ertasten Beim Einkaufen erkennt der blinde Thomas Schmidt die Münzen an ihren Rändern Von Rita Seyfert Oberhavel. „Wie Farben aussehen, weiß ich noch.“ Die Pupillen von Thomas Schmidt (35) wandern schnell nach rechts und links. Die meiste Zeit hält er seine Augen jedoch geschlossen. Nun überlegt er. „Als Kind habe ich blau und grün immer verwechselt“, erzählt er. Die Frage, ob er in Farbe träumt, findet er interessant. „Doch wie soll ich Farben erklären?“, fragt er sich. Thomas Schmidt ist blind. Auf dem linken Auge sieht er seit seinem fünften Lebensjahr nichts, auf dem rechten seit seiner Geburt. Dennoch kümmert sich der junge Mann mehr oder weniger allein um seinen Haushalt. Auch Wäsche waschen, Post holen, Einkaufen oder Essen machen gehören dazu. „Wie ein Gourmet koche ich zwar nicht “, räumt er ein. Doch weil er gerne Fleisch isst, kommt öfters mal ein Steak in die Pfanne. „Ob das Schnitzel durch ist, höre ich am Geräusch des Bratens.“ Und wenn es verbrannt ist, riecht er das auch, erklärt er nicht ohne Humor: „Viele Sachen sind Erfahrung.“ Kürzlich kaufte er sich sogar eine leicht bedienbare Waschmaschine. „Ich hatte mal eine grüne Jogginghose, danach war alles bunt“, so der Hausmann. Nun hat er sich ein System überlegt: Links in den Wäschekorb kommt die bunte Wäsche, rechts die weiße. In der kleinen Wohnung herrscht Ordnung. Alles hat seinen festen Platz. Auf dem Tisch liegt ein Kalender mit Bauwerken drauf. Im Juli ist die Alhambra in Spanien eingraviert. Darunter stehen die Tage in Blindenschrift. Der Monat August zeigt den Eiffelturm in Paris, der Stadt der Liebe. Thomas Schmidt lebt allein. Vor allem seine Schwester, aber auch Bekannte und Freunde helfen ihm oft bei seinen Besorgungen. Aber auch ohne Begleitung verlässt Thomas Schmidt das Haus regelmäßig. Den weißen Stock nimmt er dann immer mit. So wie heute zum Einkaufen. Doch das wird immer seltener: „Im Supermarkt wird jede Woche umgeräumt“, erzählt er auf dem Weg dorthin. Deshalb dauert das Suchen ewig. Mit dem Blindenstock tastet er sich den Gehweg entlang. Die weiße Kugel an der Spitze gleitet auf dem Beton hin und her. Ab und zu bleibt er damit in der Hecke hängen: „Ich laufe absichtlich zu weit links“, erklärt er. Denn gleich kommt der Beton: „Da muss ich abbiegen.“ Unterwegs ist Thomas Schmidt hochkonzentriert: „Wenn ich keine Autogeräusche höre, wechsle ich die Straßenseite.“ Auf dem Rücken trägt er einen kleinen Rucksack und in der Hand ein Taschentuch. Damit tupft er sich immer wieder die Schweißperlen von der Stirn. „Ich brauche Brot, Gemüse und Käse“, zählt er auf und kramt im Portemonnaie nach einem Euro-Stück für den Einkaufskorb. Münzen erkennt er an den verschiedenen Rändern und Klängen, Geldscheine an der Größe, erklärt er. Den Stock unter den Arm geklemmt, hangelt er sich tapfer an den Regalen entlang und zieht den Wagen hinter sich her. Die Gänge stehen voll: „Da komme ich nicht durch.“ Frontal stehen Bananenkisten und Boxen mit Erdbeeren, Trauben und Pfirsichen. Seit dem letzten Besuch hat sich schon wieder alles verändert. „Jetzt habe ich ein Problem“, sagt er und rudert mit den Armen in der Luft herum. Auf der Suche nach dem Gemüse hat er den Einkaufswagen verloren. Eine ältere Dame hilft spontan. Thomas Schmidt legt die Cherrytomaten in den Korb. Beim Wurstregal angelangt, tastet er sich gezielt durch. „Pfefferbauch“ und „Knoblauch Braten“ erkennt er an der Form der Verpackung: „Da steht ja keine Blindenschrift drauf.“ Dass er sich auch mal in der Sorte vergreift, lässt sich deshalb nicht immer vermeiden. Bevor Thomas Schmidt nach Hause kommt, holt er die Post. Welche Briefe Werbung sind, kann er nicht immer sagen. Doch DVD‘s erkennt er. Auch heute hat er zwei Stück im Briefkasten: „Die leihe ich mir online aus“, sagt er. In seiner Sammlung befinden sich weit über hundert Filme. Krimis, Action und Horrorstreifen sind seine große Leidenschaft. Die Bilder entstehen beim Schauen über die Geräusche. Auch Lesen funktioniert dank Braille-Display: Das Computer-Ausgabegerät für blinde Menschen besteht aus einer Zeile mit Punkten, die Buchstaben in Zeichenform darstellt. Vor einigen Jahren schrieb sich der Mann sogar für das Fach Sozialpädagogik ein: „Ich war an der Universität Cottbus der erste blinde Student“, erzählt er. Doch im Jahr 1997 steckte die Computertechnik noch in den Kinderschuhen. Das Studium brach er dann aus verschiedenen Gründen ab. Thomas Schmidt streicht sich mit dem Handrücken über das Gesicht. Am Handgelenk trägt er eine Armbanduhr: „Die kann ich tasten“, führt er das Modell vor. Sprechende Uhren findet er hingegen unpraktisch. Früher in der Vorlesung konnte er nicht einfach nachschauen, wann es endlich vorbei ist: „Da musste ich immer den Lautsprecher zu halten“, gibt er freimütig zu. Mittlerweile engagiert sich Thomas Schmidt als Vorsitzender der Behindertensportabteilung vom Fußballverein Forst Borgsdorf. Wöchentlich trainiert er dort gemeinsam mit sehbehinderten Menschen. „Mittwochs spielen wir Torball“, erzählt er. Bei der Hallensportart versuchen je drei Spieler in einer Mannschaft, den Ball über den Boden in das gegnerische Tor zu rollen. Und donnerstags steht Kegeln auf dem Programm. Ende August nimmt er dann in Wilhelmshaven am Internationalen Behindertensportfest teil.
Hilfsmittel und Kontakte
Der Blinden- und Sehbehindertenverband Brandenburg
e.V. berät zu rechtlichen Ansprüchen oder persönlichen Hilfen wie
Begleitpersonen. Hilfsmittel für den Alltag wie Blindenstöcke oder
Armbinden zur Kennzeichnung im Straßenverkehr gibt es direkt in der
Beratungsstelle. Für speziellere Technik stellen die Sozialarbeiter den
Kontakt zu Firmen her. So gibt es Küchenwaagen, Blutdruckmessgeräte,
spezielle Diktiergeräte und elektronische Handys, die über eine
Sprachausgabe verfügen. Alternativ sind im Fachhandel auch Telefone oder
Uhren zum fühlen erhältlich. Auch Lesesprechgeräte gehören zu den
Dingen, die den Alltag vereinfachen. Wer noch über einen Sehrest
verfügt, kann Bildschirmlesegeräte nutzen. Die Monitore vergrößern die
Schrift stärker als es mit einer Lupe möglich wäre. Wer die Punktschrift
nicht als Kind gelernt hat, kann einen Kurs an einer Blindenschule
belegen. Wer beruflich wieder eingegliedert werden soll, bekommt eine
Blindentechnische Grundausbildung finanziert.
Geräusche sind wichtig: An der Ampel erkennt Thomas Schmidt am Ton, ob
die Autos warten müssen.
Mit Ohren und Händen sehen
Täglich Post holen: Welche Briefe Werbung sind, sieht
der blinde Thomas Schmidt zwar nicht. Die online bestellten DVD's
zwischen den Zeitungen ertastet er dafür sofort. Mit seinen Händen
erkennt der junge Mann, was ihm der Bote da in den Briefkasten gesteckt
hat.
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Blinden-und-Sehbehinderten-Verband Brandenburg e.V. |