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Sonnabend / Sonntag 11 /12 März 2006
 

Nicht jeder mag den Ami


Nur schemenhaft erkennt Annegret Voitcheff die Welt um sich herum. Nicht etwa, weil sie noch verschlafen ist und ihre Augen nicht weit geöffnet hat. Die Hennigsdorferin ist auf einem Auge ganz erblindet. Mit dem anderen kann sie gerade einmal hell-dunkel-Kontraste ausmachen und Umrisse wahrnehmen. Annegret Voitcheff ist seit ihrem zehnten Lebensjahr an Diabetes, Typ eins, erkrankt. Vor knapp drei Jahren begann sich ihr Sehvermögen infolge der Diabetes drastisch zu verschlechtern. Doch das sieht sie einigermaßen gelassen obgleich sie als Kind ein Pummelchen und stets Spottopfer war, sich stets Insulin spritzen muss, mit zahlreichen Nebenerscheinungen lebt und im zurückliegenden Jahr an die zehn Augenoperationen über sich ergehen lassen hat.

Weder Diabetes noch das Erblinden sind ein Grund für sie, sich zu beklagen. Mit dem „Zucker" und seinen Folgeerscheinungen hat ,sie in den vergangenen 30 Jahren zu leben gelernt. „War nicht immer schön, aber es geht. Ich komme Dank meiner Familie und lieber Freunde zurecht." Die Neubauwohnung in der Tucholskystraße ist sehbehindertengerecht eingerichtet. Keine Schwellen stören beim Hinübertreten von einem Zimmer ins andere. Waschmaschine und Herd sind an den entscheidenden Programmen mit Nippeln versehen und selbst die Kaffeemaschine kann Annegret Voitcheff selbst bedienen. Dass sie regelmäßig mal den Pullover verkehrt herum anzieht, Socken verwechselt oder die Bratwurst gelegentlich zu roh oder verbrannt ist, darüber lächelt die Hennigsdorferin. Und wenn sie sich mal im Hauseingang irrt, bekommt sie von Nachbarn den netten Hinweis „Eine Tür weiter noch , Annegret".

Seit Anfang November lebt sie nicht mehr allein. „Ami de la Compania fiel" ist bei ihr eingezogen. Der schwarze, zweijährige Labrador verdient sich sozusagen seinen Lebensunterhalt bei ihr. Er ist Blindenführhund. Und mit Ami kamen die Sorgen, die seinem Frauchen zu schaffen machen. „Nicht der Hund ist das Problem. Er führt mich sicher durch die Stadt. Ich kann allein bis nach Berlin-Tegel fahren, stolpere nicht mehr über Wurzeln oder unebene Gehwegplatten", sagt sie. Das sei ihr mit dem weißen Blindenführstock, dem Hilfsmittel für Sehbehinderte, ständig passiert. „Am laufenden Band habe ich in der Notaufnahme gesessen." Ami, der schwarze Labrador bewahrt sie nun davor. Es ist seine Aufgabe. „Sobald er das Blindenführhund-Geschirr angelegt bekommt, weiß er, er ist im Dienst. Genau deshalb sind jedoch viele Unwissende der Auffassung, das arme Tier führe ein Hundeleben", ist die traurige Erfahrung der gelernten Zahntechnikerin.

 „Zwei bis drei Stunden am Tag muss er mein Führhund sein. Da darf er nicht gestreichelt werden, darf keine Leckerlis bekommen und nicht abgelenkt sein, muss sich also voll auf mich konzentrieren", klärt Annegret Voitcheff auf. Wenn sie ihn anbrülle, dann bedeute dies nicht, dass sie ihn schlecht behandele. „Ich muss streng zu ihm sein, damit er seine Aufgabe wahrnimmt. Dafür ist er ausgebildet worden. Da er einen dicken Kopf hat, ist es für mich und für ihn lebensnotwendig, dass er mir gehorcht." Wenn er kein Geschirr umhabe, sei er ein ganz normaler Hund, mit dem die Nachbarskinder spielen, der sich streicheln lasse oder einfach gähnend neben dem Sofa liege.

Sie hätte nicht gedacht, dass die Leute so wenig über Blindenführhunde wüssten. Zumal das Blindenführhundgeschirr und die blaue Plakette mit dem weißen Stockmännchen - das europäische Zeichen, das auf eine Sehbehinderung hinweist - ihn eindeutig als Blindenführhund ausweisen. „Hund im Dienst" steht auf der gelben Kenndecke, die einen prima Farbkontrast zu Amis schwarzem Fell bildet. Doch nicht erst einmal wurde sie beschimpft, weil sie mit Ami ein Geschäft betreten habe. „Drecksköter" ist nur eines der Schimpfworte, die Annegret Voitcheff oft stellvertretend für ihren treuen Gefährten in die Ohren dringen. Er muss auch keinen Maulkorb tragen. Genau mit diesem Umstand ist die beinahe blinde Frau ständig konfrontiert.

„Die Stadt Hennigsdorf schreibt für Hunde ab einer Schulterhöhe von 40 Zentimetern einen Maulkorb vor." Ami müsse diesen jedoch nicht tragen. „Ein Blindenführhund darf, wenn er gut gepflegt ist, auch so gut wie überall mit hinein. Sogar in den Passagierraum im Flugzeug und in Lebensmittelläden, und der Hund ist auch versichert. Aber die Leute sind einfach nicht informiert", musste Annegret Voitcheff feststellen. Als sie kürzlich dann sogar von ihrem Frauenarzt, der sie seit 15 Jahren behandelt, angebrüllt und hinausgeworfen wurde, weil sie mit Ami dorthin kam, beschloss sie, etwas für die Aufklärung in Sachen Blindenführhund zu unternehmen. Sie könne ja die Argumente des Arztes zum Teil verstehen, wenn er sage, dass schließlich kleine Kinder und Schwangere in den Behandlungsräumen seien. Aber er hätte sie vielleicht als erste oder letzte Patientin bestellen und Ami hätte so lange im Keller sitzen können.

„Ein Blindenführhund kostet sehr viel Geld . Das zahlt sogar die Krankenkasse. Ami kann nicht einfach allein gelassen werden. Falls ihm etwas geschieht oder er sogar gestohlen wird, kann er auch nie wieder als Blindenführhund arbeiten." Der Blindenführhund bedeute für sie ein Stück Unabhängigkeit. Ein Blinder habe ansonsten so gut wie kein Privatleben, „denn wir sind auf Offenbarung angewiesen, weil wir nichts lesen können." Blindenschrift zu erlernen würde um die 5 000 Euro kosten, und das bezahle die Krankenkasse nur für jemanden, der noch im Arbeitsleben stehe. Annegret Voitcheff hingegen ist aufgrund ihrer Erkrankungen bereutet. Das Geld, um den Blindenschriftkurs selbst zu bezahlen, habe sie nicht. Und so wird ihr diesen Artikel sicher ihre Freundin vorlesen.    -tja

Kontaktrufnummern:
Blinden - und Sehbehindertenverband,
Ortsgruppe Oranienburg:
Holger Dreher Telefon: (03301)20 89 01
Michael Mehlmann Telefon (03302) 22 54 21

 

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